Die Umweltkatastrophe an der Oder
September 2022
Mittlerweile sind sich Experten weitestgehend einig, dass das Gift der Algenart Prymnesium parvum zu der Umweltkatas-trophe an der Oder geführt hat. Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben das Algengift im Oderwasser nachgewiesen, nachdem Satellitenbilder zuvor bereits eine massive Algenblüte gezeigt hatten. Dennoch ist die ökologische Katastrophe an der Oder wohl nicht auf ein natürliches Phänomen zurückzuführen, sondern vielmehr menschengemacht. Die Brackwasseralge Prymnesium parvum benötigt nämlich große Mengen an Salzen um sich derart massiv und schnell zu vermehren. Offenbar gelangte im Oberlauf der Oder massenhaft salzhaltiges Wasser in den Fluss also dort, wo sich viele Kohle- und Kupferminen befinden. Leider gibt es auf polnischer Seite wohl nur wenig Kontrollen, wie viel Abwasser aus der Industrie und den Bergwerken in den Fluss geleitet wird. Auf einer Pressekonferenz in Warschau gab der designierte Chef der polnischen Wasserbehörde , Krzysztof Woś, kleinlaut bekannt, dass es viele illegale Abwasserleitungen in den Fluss gebe.
Experten glauben inzwischen, dass ein Zusammenspiel vieler Faktoren zum Fischsterben in der Oder geführt hat:
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dramatisch niedrige Wasserstände bei hohen Temperaturen |
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intensive Regulierungsmaßnahmen für die Schifffahrt
Staustufen würden die Geschwindigkeit des Wasserlaufs verringern und die Wassertemperatur erhöhen, wodurch sich Bakterien und Phytoplanktonorganismen besonders stark vermehrten (Ein naturbelassener Fluss hat mehr Ressourcen der Selbstregulation) |
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zerstörte Vegetation am Ufer, ein geschwächtes Ökosystem |
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Einleitung ungeklärter Abwässer in den Fluss.
Kläranlagen fehlt es oft an Geld, um diese zu unterhalten.
Mehr als 1000 Gemeinden in Polen verfügen über keine Kanalisation für die Sammlung ihrer kommunalen Abwässer. Die Folge ist, dass deren Abwasser unbehandelt direkt in Flüsse geleitet wird. |
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eingeleitete Abwässer ohne den Flusszustand zu berücksichtigen (gefährliche Chemikalien, Phosphate und Nitrate |
August 2022
Der Gewässerökologe Christian Wolter hält es für möglich, dass auch die giftige Mikroalgenart Prymnesium parvum das massenhafte Fischsterben verursacht haben könnte. Die Art ist offenbar bekannt dafür, dass es gelegentlich zu Fisch-sterben kommt, wenn sie blüht. Noch laufen die Untersuch-ungen. Für den Menschen ist die Alge ungefährlich. Die Alge lebt eigentlich in Brackwasser, also dort, wo sich Süß- und Salzwasser vermischen. Die Alge wächst bevorzugt in salzhaltigen Milieu und bei hohen ph-Werten.
Laut Brandenburger Landesumweltamt sollen sich die Werte im Fluss vom 7. August an dramatisch verändert haben. So seien der Sauerstoffgehalt, der pH-Wert, die Trübung und andere Werte schlagartig nach oben geschossen, während die Menge von Nitrat-Stickstoff deutlich abgefallen sei.
Nach Angaben von Polens Regierung sind bei eigenen Untersuchungen bislang keine toxischen Substanzen ent-deckt worden. Das Umweltministerium in Brandenburg hatte Anfang der Woche jedoch einen potenziellen Auslöser für
das massenhafte Fischsterben in der Oder identifiziert.
So hatten entnommene Wasserproben Hinweise auf eine erhebliche Quecksilberbelastung ergeben. (16. August)
Zuvor hatte Polen behauptet, giftiges Quecksilber sei nicht die Todesursache der Fische.
Proben der toten Fische sollen aber noch auf rund 300 weitere schädliche Stoffe untersucht werden, darunter Pestizide. Brandenburgs Umweltministerium geht davon aus, dass auch die Dürre und die geringe Wasserführung der Oder ihren Anteil am Fischsterben hat. Geprüft wird derzeit auch, ob ein erhöhter Salzgehalt im Wasser zusätzlich im Zusammenhang mit dem Fischsterben stehen könnte.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte am vergangenen Freitag (12. August) erklärt, das Fischsterben sei offenbar durch Einleitung einer "riesigen Menge" von Chemieabfällen ausgelöst worden. Die polnische Regierung
hat eine Belohnung von mehr als 200 000 Euro für die Aufklärung ausgesetzt.
Nach Schätzungen des Instituts für Binnenfischerei sind bislang 200 bis 400 Tonnen Fisch verendet (Stand 30. August) Das sind 25 bis 50 Prozent des Oder-Fischbestands . 500 Kilometer Flusslauf sind betroffen. Auch die Folgen für andere Tiere in der Nahrungskette sind noch komplett offen.
Die stinkenden Kadaver aus dem Wasser werden auf dem Gelände der PCK-Raffinierie in Schwedt verbrannt. Die möglichst rasche Beseitigung der Fischkadaver ist jetzt eine der vordringlichsten Aufgaben, denn viele Tierarten wie Reiher, Seeadler, Weiß- und Schwarzstörche, aber auch Fischadler und selbst Säugetiere wie die Waschbären fressen die toten Fische und vergiften sich so.
Auch das Schweriner Gesundheitsministerium zeigt sich besorgt und rät für mehrere Badestellen vom Schwimmen ab. Bürger sollen das Oder-Wasser nicht berühren.
Längst hat die tödliche Giftwelle auf der Oder über das Wochenende das Stettiner Haff erreicht.
Nun sollen Ölsperren zumindest verhindern, dass sich Fischkadaver auch im Haff ausbreiten. Im Norden mündet die Oder in das Stettiner Haff, das mit rund 900 Quadratkilometern etwa doppelt so groß ist wie der Bodensee. Das Haff gehört zu zwei Dritteln zu Polen. Von dort verlaufen Wasserverbindungen zur Ostsee.
Begonnen hat das Fischsterben bereits Ende Juli am Oberlauf der Oder oberhalb der polnischen Metropole Wroclaw und offenbar haben die polnischen Behörden allzu lange versucht , das Problem herunterzuspielen. Jemand von der polnischen Verwaltung vor Ort soll das ganze als regionales Ereignis eingestuft und deswegen die Meldekette nicht aktiviert haben.
Seit Dienstag vergangener Woche werden auch an deutschen Flussabschnitten immer mehr tote Fische angeschwemmt. Gewässerexperten prangern daher politische Versäumnisse auf beiden Seiten des Flusses an.
Noch ist nicht absehbar, welche Folgen die Umweltkatastrophe an der Oder langfristig für Fische, Tiere und Pflanzen in der Oderregion und der Ostsee haben wird. Der ökologische Schaden wird aber schon jetzt als immens eingestuft.
Bundesregierung als auch das Land Brandenburg haben bereits mehrfach ihren Unmut über fehlende Informationen aus Polen zum Ausdruck gebracht.
Der Fall erinnert an das Chemie-Unglück beim Schweizer Chemiekonzern Sandoz, der sich 1986 ereignete. Damals waren nach dem Brand in einem Chemikalienlager Insektizide über das Löschwasser in den Rhein gelangt und hatten ein massives Fischsterben verursacht. Die Aalpopulation war damals komplett zusammengebrochen.
-> Umweltkatastrophe Aluminiumfabrik Kolontar in Ungarn
-> Informationen aus dem Agrarsektor /der Landwirtschaft
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